"Bei maximalem Tempo kam der totale Stopp"

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Bad Vilbels Kulturchef Claus-Günther Kunzmann erzählt im Interview mit unserer Zeitung “Die Quelle”, wie er den Lockdown erlebte – und wie unser Weihnachtsmarkt in diesem Jahr aussehen könnte.

QUELLE: Lieber Herr Kunzmann, die Corona-Pandemie hat Kunstschaffende, die Medienlandschaft und Vereine hart getroffen. Wie haben Sie als Bad Vilbeler Kulturchef den Lockdown erlebt?

CLAUS-GÜNTHER KUNZMANN: Zu Beginn des Jahres haben wir auf ein Maximum beschleunigt. Neben der Durchführung der laufenden Angebote – von der Stadtbibliothek bis zum Kino Alte Mühle – waren Hessentag und Burgfestspiele zeitgleich zu organisieren und vorzubereiten.

Und dann kam bei maximalem Tempo in der zweiten Märzwoche der totale Stopp. Die Konsequenzen gedanklich zu realisieren, das dauerte einen Moment und musste auch emotional erst einmal verarbeitet werden. Einerseits waren mehrere Jahre Vorbereitung für den Hessentag letztlich vergebens, andererseits stellte sich sofort die Frage, welche Folgeschäden aus einem Jahr ohne Burgfestspiele entstehen können. Und dann war es natürlich sofort erforderlich, die Absagen ordentlich abzuwickeln. Am Ende bedeutete das sehr, sehr viel Aufwand für ein Nichts, an dem viele Kolleginnen und Kollegen mitwirken mussten. Allein die Rückabwicklung des Ticketings nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Auch Bremsen kostet viel Energie.

Im Mai gab es dann auf einmal eine Phase der trügerischen Ruhe. Doch zeitgleich machte sich auch die Sorge breit, wie es nach Corona weitergehen könnte. Damals wuchs die Befürchtung, dass die Auswirkungen auf die Wirtschaft und öffentlichen Haushalte zu massiven Einschnitten bei den kulturellen Angeboten führen werden. Und diese Sorge besteht unverändert.

QUELLE: Was kaum noch jemand zu hoffen gewagt hatte, ist nun doch wahr geworden: Die Burgfestspiele fanden statt, wenn auch in abgespeckter Version. Ebenso das Open-Air-Kino. Wie wurde das möglich gemacht?

KUNZMANN: Es kam der 18. Juni. Bürgermeister Dr. Thomas Stöhr und ich waren in der Staatskanzlei in Wiesbaden: Die Hessentagsfahne wollte an die nächste Hessentagsstadt Fulda übergeben werden. Wenige Stunden vor unserem Termin wurde im gleichen Saal verkündet, dass diverse durch Corona bedingte Beschränkungen aufgehoben werden. Insbesondere wurde die Obergrenze für Veranstaltungen von 100 auf 250 angehoben. Das war die Initialzündung.

Noch am gleichen Abend gab es in Bad Vilbel ein Gespräch mit Christian Voss, einem langjährigen Regisseur der Burgfestspiele, sowie den beiden Dramaturginnen Ruth Schröfel und Angelika Zwack. Danach war klar, dass wir die Chance nutzen müssen. Innerhalb weniger Tage stand der Spielplan, waren die beiden Regisseure und das jeweilige Leitungsteam der Inszenierungen gefunden, hatten wir die Rechte an den Stücken, stand die Besetzung fest. Ich habe mich bewusst für „Ladies Night“ entschieden, da wir hierzu noch die Pläne des Bühnenbildes in der Schublade hatten und somit sofort mit dem Bau beginnen konnten. Für “Mondlicht und Magnolien” musste dieses erst entwickelt werden. Also: Alles zurück auf Start.

Parallel dazu haben wir das Konzept für das Open-Air-Kino entwickelt. Auch hier musste die Mannschaft in Windeseile gefunden, das Konzept entwickelt werden. Wir haben bewusst ein Ferienkonzept erstellt. Das Kino fand nicht am Stück über 14 Tage statt, vielmehr zeigten wir über vier Wochen jeweils von Donnerstag bis Sonntag Filme im Freibad – ein Konzept, dass wir für meine Begriffe auch zukünftig beibehalten sollten.

Da wir grundsätzlich alle Eintrittskarten personalisieren müssen, stand auch unser Kartenbüro vor einer Herkulesaufgabe. Neben der Rückabwicklung nun doch noch ein Kartenverkauf für Burg und Kino. Hinzu kam, dass auch die Karten für das Freibad zu verkaufen waren. Alles in allem war die Umsetzung dieser Kulturangebote nur möglich, weil alle Mitwirkenden mit hoher Energie an einem Strang gezogen haben. Ein großes Dankeschön dafür von meiner Seite an dieser Stelle.

QUELLE: Wie haben Sie für die Sicherheit der Gäste gesorgt?

KUNZMANN: Für das Open-Air-Kino und die Burgfestspiele haben wir jeweils komplexe Sicherheits- und Hygienekonzepte entwickelt. Das war natürlich Neuland für uns. Wir haben alle Abläufe gedanklich simuliert und versucht, alle Vorgaben umzusetzen. Bei den Burgfestspielen haben wir täglich den Stand der Dinge überprüft und das Hygienekonzept weiterentwickelt. Dazu setzten wir auf moderne Technik. Für die Toiletten gab es eine Obergrenze an Personen, die zeitgleich die Räume betreten dürfen.

Wir haben ein digitales Zählsystem eingebaut, mit einer Ampel, die auf Grün oder Rot stand. Und damit Menschen in einer möglichen Schlange bei schlechtem Wetter nicht im Regen stehen, haben wir ein Wartezelt davor aufgebaut. Alles sehr aufwendig, hilft uns aber bei der Umsetzung des Hygienekonzeptes. Das nur als ein Beispiel von vielen.

QUELLE: Die Stadt unterstützt auch die Schauspieler, die eigentlich auf der Bühne der Burgfestspiele hätten stehen sollen, nun aber ohne Auftritte und Gage dastehen. Wie sieht das Konzept aus?

KUNZMANN: Wir haben für alle Darstellerinnen und Darsteller Kurzarbeit beantragt und das Kurzarbeitergeld ein wenig durch Eigenleistungen erhöht. Da wir den Spielplan auf das nächste Jahr übertragen haben, haben wir zugleich Verträge mit ihnen für 2021 geschlossen, mit einer leichten Absenkung der vereinbarten Gage. Damit bekommen die Künstler Sicherheit für zwei Jahre und wir können im kommenden Jahr, das sicherlich keine leichte Haushaltslage bringen wird, mit geringeren Gagenkosten arbeiten.

QUELLE: Natürlich gibt es noch viel mehr kulturelle Angebote. Gerade Kleinkunstschaffende und Vereine stehen weniger im Fokus der Aufmerksamkeit. Wie schwierig ist die aktuelle Situation für diese Gruppe und wo kann die Stadt helfen?

KUNZMANN: Eine wichtige öffentliche Aufgabe war es, dass wir auch weiterhin spielen. Damit bekommen Künstler und Dienstleister Aufträge. An allen Veranstaltungen hängen immer auch viele Arbeitsplätze. Vereinen können wir helfen, indem wir ihnen erlauben – im Rahmen der Corona-Regeln – öffentliche Räume und Plätze zu nutzen. Beispielsweise Chören konnten wir, so lange es die Witterung zuließ, Proben im Freien ermöglichen. Hier müssen wir großzügig und kreativ sein. Wir können bei der Erstellung der Hygienekonzepte helfen und notwendige Geräte zur Verfügung stellen. Und vielleicht müssen wir auch darüber nachdenken, an der ein oder anderen Stelle Kosten zu erlassen.

QUELLE: Veranstaltungsplanung in Zeiten von Corona ist schwierig bis unmöglich. Wie gehen Sie in Ihrem Fachbereich mit anstehenden Großveranstaltungen, zum Beispiel dem Weihnachtsmarkt in der Wasserburg, um?

KUNZMANN: Weihnachtsmärkte leben von Nähe und einem

gewissen Gedränge. Das ist in diesen Zeiten nicht machbar. Ein Weihnachtsmarkt in und um die Burg wird somit unmöglich. Wir wollen stattdessen eine Art Weihnachtsmarkt kleinteilig in die Innenstadt legen, dabei alle – insbesondere auch die neuen – Plätze nutzen und mit der örtlichen Gastronomie, die es im Winter bestimmt nicht einfach haben wird, kooperieren. Das Ganze könnte über die gesamte Adventszeit stattfinden, wenn auch nicht an allen Tagen. Das könnte zu einer Belebung unserer Innenstadt führen und dort für noch mehr weihnachtliche Atmosphäre sorgen.

QUELLE: Was können wir Bad Vilbeler tun, um Kunst und Kultur in Zeiten von Corona zu unterstützen?

KUNZMANN: Die bestehenden Angebote nutzen, an der ein oder anderen Stelle den Vereinen mit Spenden helfen und insbesondere die Hygieneregeln einhalten, damit kein Veranstalter Gefahr läuft, dass die Veranstaltungen untersagt werden.

Deliah Werkmeister